Erinnerung an Fritz-Dietlof von der Schulenburg

Vor 76 Jahren – am 10. August 1944 – wurde der aus Tressow stammende Mecklenburger Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg hingerichtet. Er gehörte zu den Frauen und Männern im Widerstand, die am 20. Juli 1944 vergeblich versucht hatten, Hitler zu töten und das NS-Unrechtsregime zu beenden.

Prof. Dr. Robert von Steinau-Steinrück

Der kleine Bahnhof in Lübstorf auf der Strecke von Schwerin nach Bad Kleinen wirkt immer noch fast so, wie er wohl am Morgen des 19. Juli 1944 gewesen sein muss. Meine Großmutter Charlotte sollte sich dort zum letzten Mal von ihrem Mann, Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg verabschieden. Am 20. Juli 1944 feierte sie mit ihren sechs Kindern in Klein Trebbow ihren 35. Geburtstag; dort lebten sie und die Familie bei ihrer Schwägerin Tisa. „Fritzi“ war dazu am 18. Juli abends zu einem Kurzbesuch aus Berlin gekommen. In die Pläne für den Staatsstreich hatte er sie dem Grunde nach eingeweiht. Meine Großmutter notierte später in ihren Erinnerungen:

„Auf dieser Fahrt durch die schöne Trebbower Allee, durch die Süring und hinab nach Lübstorf sprachen wir wenig. Ich hielt seine Hand fest. Ich fragte ihn, ob es nötig sei, Hitler zu töten und er bejahte es mit der Entschiedenheit, die das Endergebnis einer langen Reihe von Überlegungen und die Einigkeit mit dem Gewissen ist. Er sagte: „Du weißt, es steht 50/50“. Ich konnte mir nur die gute Hälfte vorstellen“.

Doch der Staatsstreich scheiterte. Fritzi wird noch am 20. Juli verhaftet und am 10. August 1944 in der Sitzung vor dem sog. „Volksgerichtshof“ zum Tode verurteilt. Aus der Sitzung sind folgende Schlussworte von ihm überliefert:

„Wir haben diese Tat auf uns genommen, um Deutschland vor namenlosem Elend zu bewahren. Ich bin mir klar, dass ich daraufhin gehängt werde, bereue meine Tat nicht und hoffe, dass sie ein anderer in einem glücklicheren Augenblick durchführen wird.“

Noch am selben Tag wird er in Berlin-Plötzensee hingerichtet. Charlotte entgeht knapp der Sippenhaft mit ihren sechs Kindern, flüchtete und lebte bis zu ihrem Tod im Jahr 1991 in München. 10 Jahre nach dem 20. Juli erhält sie durch einen Zufall den Abschiedsbrief ihres Mannes. Eine mutige Sekretärin im Reichsjustizministerium hatte ihn unter Lebensgefahr heimlich abgeschrieben und in ihrem Luftschutzgepäck aus dem Ministerium herausgebracht. In ihm heißt es u.a.:

„Du wirst dich sicher auf alles gefasst gemacht haben. Ich bin heute in der Sitzung des Volksgerichtshofs zum Tode verurteilt und zur Vollstreckung des Urteils in der Strafanstalt Plötzensee. […] Mein berufliches Leben ist nur ein Fragment geblieben, wenn auch voller Sehnsucht und Abenteuer. […] Was wir getan, war unzulänglich, aber am Ende wird die Geschichte richten und uns freisprechen. Du weißt, dass mich auch die Liebe zum Vaterland trieb.“

Es sollte lange dauern, bis die Mehrheit der Deutschen die Frauen und Männer aus dem Widerstand tatsächlich „freigesprochen“, sie also nicht mehr als Verräter betrachtet haben. Heute betrachten sie zu Recht viele als Vorbilder. Dafür gibt es gute Gründe, ohne dass Kritisches deshalb ausgeblendet werden müsste. Der Blick auf die Biografien der Widerstandskämpfer bleibt lohnenswert, denn die Frage nach den Handlungsspielräumen jedes Einzelnen ist zeitlos; wie etwa die Frage, was kann ich tun und was tue ich, damit unsere Kinder in einer besseren Welt leben.

So gesehen ist der Lebenslauf des 1902 geborenen und in Tressow aufgewachsenen Fritz-Dietlof von der Schulenburg voller interessanter Aspekte. Einer davon ist, dass der Verwaltungsjurist nicht zu denjenigen im Widerstand zählte, die von Anfang an dagegen waren. Ganz im Gegenteil: er beginnt seine Entwicklung als entschiedener Verfechter des Nationalsozialismus. 1932 tritt er begeistert der NSDAP bei und begrüßt die Machtergreifung Hitlers. So schreibt er 1934:

„Als die formalen Inhaber der Staatsgewalt versagten und sich fremden internationalen Mächten versklavten, schuf der unbekannte Soldat des Weltkrieges Adolf Hitler einen neuen Kern des Widerstandes der NSDAP. In ihr ballte sich alles zusammen, was noch Glauben und Willen, Opfermut und Tatbereitschaft hatte. In ihr stand das deutsche Volk auf und organisierte sich, um nach seinen eigenen Gesetzen und nach seiner eigenen Art sein Leben zu gestalten. In Kampf und Terror gehärtet, wurde die Partei zum absoluten Träger der nationalsozialistischen Idee, zur Inkarnation des Glaubens und des Willens des deutschen Volkes.“

Derselbe Fritz-Dietlof von der Schulenburg wird in einem jahrelangen und schmerzhaften Ablösungs-, Lern- und Entwicklungsprozess zu einem der entschlossensten Widerstandskämpfer gegen Hitler. 10 Jahre später, nach seiner Verhaftung am 20. Juli gibt er zu Protokoll:

„Je mehr ich über die Entwicklung nachdachte, desto klarer wurde mir, dass alle ihre Züge im Grunde eine Wurzel hatten: Gewalt ohne Maß, innen und außen. Anfangs suchte ich noch nach Möglichkeiten, dieses Übel im Wege der Reform zu heilen. Allmählich aber kam ich zu der Erkenntnis: Eine Reform hilft nicht mehr, da alles ineinander verkettet ist und in Grundtatsachen beruht, die mit dem Charakter des Systems unwandelbar verbunden sind.“

Und an anderer Stelle:

„Als Grundlage für die Ordnung wollen wir wieder heiliges, unverbrüchliches Recht schaffen“.

An seinem Lebensweg kann man wie in einem Brennglas erkennen, vor welche Herausforderungen eine verbrecherische Diktatur jeden Einzelnen stellt. Dabei muss man sich bewusst machen, wie schwer es schon in „normalen Zeiten“ ist, eigene Standpunkte und diejenigen des eigenen Umfeldes immer wieder zu hinterfragen, notfalls auch vollständig aufzugeben und für die eigene Überzeugung einzutreten. Die Rechtsbrüche und Verbrechen des NS-Unrechtsregimes brachten jeden Deutschen so oder so in die Zwangslage, sich zwischen Gewissen oder Anpassung entscheiden zu müssen. Fritz-Dietlof von der Schulenburg ging eine lange innere Wegstrecke und ist schließlich seinem Gewissen gefolgt. Mit derselben Entschiedenheit, mit der er anfangs für den Nationalsozialismus eingetreten ist, hat er am Ende das Hitler-Regime bekämpft. Bei ihm wie bei anderen im Widerstand mag man kritisch einwenden, dass er kein Verfechter einer Demokratie nach dem Vorbild des Grundgesetzes war, wie wir sie heute glücklicherweise haben. Ihm schwebte in der Tat eher ein von einer Beamtenelite geleitetes Staatsgebilde vor; er dachte dabei an die großen preußischen Beamten der Reformzeit. Entscheidender ist aber doch, dass er seine Handlungsspielräume genutzt und unter Einsatz seines Lebens den Staatsstreich gewagt hat, um sein Vaterland – in seinen Worten – „vor namenlosem Elend“ zu bewahren. Die politischen Vorstellungen der Frauen und Männer im Widerstand waren zeitgebunden und kontrovers. In einem waren sich aber alle einig und auch für Fritz-Dietlof von der Schulenburg war dies entscheidend: Willkürherrschaft und Terror sollten beendet und Rechtsstaatlichkeit wieder hergestellt werden.

Im vergangenen Jahr hat der Bundespräsident den Widerstand in seiner ganzen Breite als bedeutenden Teil der deutschen Freiheitsgeschichte gewürdigt. Zu dieser Freiheitsgeschichte gehört das Leben von Fritz-Dietlof von der Schulenburg. Die Erinnerung an ihn kann uns dazu inspirieren, uns für unser Land und unseren demokratischen Rechtsstaat zu engagieren. Dann war sein Opfer auch nicht umsonst.

Robert v. Steinau-Steinrück ist einer der Enkel von Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg. Er ist Vorsitzender der Stiftung 20. Juli 1944 und Mitglied im Vorstand des Vereins Denkstätte Teehaus Trebbow.