Grußwort des Ministerpräsidenten

Wenn wir heute über Opposition und Widerstand sprechen, dann sprechen wir auch über die Freiheit. Die politische Freiheit eines Menschen zeigt sich nicht in erster Linie darin, dass er tun kann, was er will, sondern darin, dass er nicht tun muss, was er nicht will.

Sie, meine Damen und Herren, müssen mir nicht zuhören. Sie tun das aus freien Stücken und darüber freue ich mich. Sollten Sie sich während meiner kleinen Ansprache aber anders entscheiden und daher unruhig werden, dann ist auch das relativ gefahrlos möglich – Sanktionen drohen jedenfalls keine.
Das erscheint uns heute selbstverständlich.

Doch das ist es nicht! Wie wir wissen, mussten Menschen in der Geschichte unseres Landes schon für Dinge, die uns heute weitaus banaler erscheinen als die geringfügige Störung einer Veranstaltung, oft teuer – manchmal sogar mit ihrem Leben – bezahlen.

Das war so während der Verbrechensherrschaft des Nationalsozialismus, der sowjetischen Besatzungsherrschaft und zeitweise auch unter der Herrschaft der SED. Ich will diese Systeme nicht miteinander gleichsetzen, aber politische Bevormundung, Unrecht, Unterdrückung und Willkür war ihnen allen gemein. So folgte auf die Befreiung vom Nationalsozialismus im Osten Deutschlands neue Unfreiheit, auch wenn einige das in ihrem Alltag so nicht empfunden haben. Die Verfolgung politisch Andersdenkender, Zwangsenteignungen, die autoritäre Alleinherrschaft der SED sprechen jedoch eine deutliche Sprache.

Besonders einschneidende Maßnahmen in den ersten Jahren nach Gründung der DDR waren 1950 das Verbot und die Verfolgung der Zeugen Jehovas, 1952 die Zwangsumsiedlungen von Personen aus dem Grenzgebiet zur Bundesrepublik, 1952/53 die erste Welle der Kollektivierung auf dem Lande, im Frühjahr 1953 der Verweis von Mitgliedern der Jungen Gemeinde von den Oberschulen sowie die Zwangsenteignungen des gewerblichen Mittelstandes, z.B. im Namen der Aktion ,,Rose“.
Die SED produzierte das, was jede Diktatur braucht: die Angst der Menschen.

Viele Menschen haben aus Angst die offene Auseinandersetzung mit den Herrschenden damals vermieden – aus Sorge um ihre und ihrer Kinder Existenz, haben Kompromisse angestrebt oder sich ins Privatleben zurückgezogen. Das kann ich nachvollziehen. Ich mache auch umgekehrt niemandem einen Vorwurf, wenn er sich aus gutem Glauben zu DDR-Zeiten für diesen Staat engagiert hat und dabei anderen Menschen keinen Schaden zugefügt hat. Das enthebt uns aber nicht der Verantwortung, vergangenes Unrecht beim Namen zu nennen. Nie dürfen wir den Mantel des Schweigens darüber decken.

Wir sollten heute großen Respekt vor denen haben, die die Angst vor den möglichen Folgen ihres Handelns überwunden haben. „Die Diktatur der SED“ war, so die Enquete-Kommission zur Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland, „zugleich eine Geschichte von Opposition und Widerstand“. Opposition und Widerstand waren dabei stets Reaktionen aus der Bevölkerung heraus und nicht – wie von der Propaganda immer wieder unterstellt – ein vom Westen gesteuertes Verhalten. Vielmehr war es die DDR-Staatsmacht selbst, die durch die Art des Umgangs mit den Menschen ihre eigenen Gegner hervorbrachte.

Diese Gegnerschaft reichte von der anlassbezogenen Verweigerung zum individuellen Protest, vom bewussten, demonstrativen Aufbegehren bis zu Widerstand, der sich in Gruppen organisierte, von politischen Streiks bis zur spontanen Massenaktion und zu Unruhen, von der Bildung offen agierender Gruppen und Bürgerinitiativen bis zum Widerstand, der sich konspirativ gesammelt und aktiv gehandelt hat.

Auch im Norden der DDR gab es immer wieder Einzelne und Gruppen, die den Mut besaßen, sich gegen politische Bevormundung, Unrecht und Unterdrückung zur Wehr zu setzen. An einige Persönlichkeiten, die aus ganz unterschiedlichen Motiven, handelten, erinnert diese Ausstellung. Einer von ihnen, Arno Esch, war am Aufbau einer als illegal angesehenen Jugendorganisation beteiligt, ein anderer von ihnen, Karl Alfred Gedowsky, hatte sich in Westberlin verbotene Literatur besorgt und sie in Rostock an Studenten verteilt. Andere z.B. bekannten sich zu ihrer Mitgliedschaft bei den verbotenen Zeugen Jehovas, verteilten ·Flugblätter oder waren einfach politisch unbequem, weil sie für ihre demokratischen Überzeugungen einstanden. Viele von ihnen verbrachten dafür mehrere Jahre im Zuchthaus. Andere, wie z.B. Arno Esch und Karl Alfred Gedowsky, wurden gar mit dem Tode bestraft. In seinem Schlusswort vor Gericht erklärte der damals fünfundzwanzigjährige Gedowskl: „Wir wollten den Studenten zeigen, (…), dass es neben dem historischen und dem dialeket/schen Materialismus noch andere Weltanschauungen gibt. Um sich für eine Weltanschauung zu entscheiden, muss man auch die andere kennen.“
Heute erscheint uns das selbstverständlich. Damals war es das nicht.

Meine Damen und Herren,
eine Frage, an der sich Demokratie immer wieder neu messen lassen muss, ist: Wie geht sie mit der Vergangenheit um? Das war nach 1945 die Frage, das war nach 1989 die Frage und das ist heute die Frage. Es ist eine berechtigte Frage, die Demokraten immer wieder neu beantworten müssen.

In unserer Antwort darauf findet immer auch die aktuelle Wertschätzung von Freiheit, Menschenrechten und Rechtstaatlichkeit ihren Ausdruck.

Geschichte bleibt abstrakt, wenn sie als bloße Abfolge von Fakten und Zahlen erscheint. Sie bekommt erst Farbe, wenn sie an konkreten Schicksalen aufgezeigt wird – dann berührt sie uns. Erst dann kann sie auch junge Menschen erreichen und so die Kraft entfalten für die Gestaltung einer besseren Zukunft. Viele der Schülerinnen :und Schüler, die an der Vorbereitung dieser Ausstellung beteiligt waren, haben diese Erfahrung selbst gemacht.

Entscheidend ist: Nicht Erfolg oder Misserfolg entscheiden darüber, was richtig, notwendig, anständig ist zu einer bestimmten Zeit. Die Menschen, denen diese Ausstellung gewidmet ist, konnten damals nicht viel ändern, doch hinterlassen sie uns ein Vermächtnis, das in die Gegenwart und Zukunft reicht. Es geht darum, politisch wach zu bleiben und Feinde der Demokratie als solche zu entlarven. Es darf nie wieder dazu kommen, dass sich eine schweigende Mehrheit nicht zuständig fühlt für das, was in unserem Land passiert. Es reicht nicht, Unrecht schweigend zu missbilligen. Bundestagspräsident Thierse hat Recht, wenn er sagt: Demokratie lebt nicht von innerer Haltung, sondern von überzeugtem Handeln.

Dabei sind in der Regel keine Heldentaten gefragt, es geht vielmehr um die alltägliche Menschlichkeit. Es geht darum, da, wo erforderlich im Alltag, Zivilcourage zu zeigen. Treten wir also bereits den leisesten Anfängen von Unfreiheit, Rechtsbruch und Menschenverachtung entschieden entgegen. Ob Rechtextremisrnus, Ausländerfeindlichkeit, Gewalt an Schulen: Sagen wir laut und vernehmlich „Nein“, überall dort, wo es notwendig ist.

Ich sage das auch mit Blick auf die schwierigen Umbrüche, die wir derzeit erleben. Wir leben in einer Zeit, die sicher Geglaubtes infrage stellt. Das erzeugt Unzufriedenheit und Ängste. Je größer die Ängste, desto größer auch die Sehnsucht nach einfachen Antworten und desto größer die Neigung, Menschen zu verachten, die vermeintlich schwächer sind als man selbst. Desto größer auch die Neigung, jemandem Glauben zu schenken, der vermeintlich Schuldige benennen kann. Einem solchen Denken gilt es entschieden entgegenzutreten.

Meine Damen und Herren,
die Vergegenwärtigung der katastrophalen Folgen von totalitären Gesellschaftsordnungen wie sie diese Ausstellung zeigt, will Engagement für die Demokratie erzeugen. Demokratie erscheint heute vielen selbstverständlich. Das ist sie aber nicht.

In der DDR gab es keine freie Meinungsäußerung. Die DDR erkaufte sich Bevormundung und Unterwerfung mit Fürsorge. Versorgt zu sein von der „Wiege bis zur Bahre“, das war für die meisten selbstverständlich Das Verständnis von Freiheit verkehrte sich demzufolge schließlich bei vielen Bürgerinnen und Bürgern ins Gegenteil. Freiheit wurde nicht mehr als Aufforderung zu selbstbestimmtem Handeln empfunden, sondern als Freiheit von Verantwortung, was nach 1989 zu großen Orientierungsproblemen bei vielen ehemaligen DDR-Bürgerinnen und Bürgern führte. Denn der Umgang mit Freiheit muss gelernt sein, sonst wird die Freiheit nicht zur Lust sondern zur Last. Schnell erscheint dann die Vergangenheit shöner als sie war.

Nur die Aufklärung gerade auch der Jugend kann einer nachträglichen Verklärung des SED-Regimes oder schönfärberischer DDR-Nostalgie den Boden entziehen und uns vor neuen Fehlern schützen. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es neben Erinnerungs- und Gedenkorten, zahlreiche Projekte und Bildungsangebote zur Aufklärung über die deutschen Diktaturen. Veranstaltungen an historischen Gedenkorten wie in Klein Trebbow sind besonders wichtig.

Hier, .meine Damen und Herren, wollen Sie nicht nur die Erinnerung wach halten, sondern auch politische Aufklärungs- und Bildungsarbeit leisten, wollen Zivilcourage, Bürgersinn und Mündigkeit stärken. Sie suchen die Zusammenarbeit mit der Jugend und schlagen so eine Brücke von der Vergangenheit in die Gegenwart und Zukunft. Darum geht es.

Ich bedanke mich daher ganz herzlich bei den Organisatoren dieser Ausstellung, dem Vorstand des Vereins Denkstätte Teehaus Trebbow, dem Dokumentationszentrum für die Opfer deutscher Diktaturen an der Universität Rostock und hier insbesondere Herrn Dr. Langer, der als Historiker diese Ausstellung betreut hat, sowie den schon genannten Sponsoren.

Ich wünsche dieser Ausstellung viele Besucher und dem Teehaus viel Erfolg für die Zukunft.

Dr. Harald Ringstorff