Schleswig Holstein Haus, Schwerin, Puschkinstraße 12, am 22. 9. 2014, 18.00 Uhr

Widerstand und Recht

Dr. Wedigo Orlowsky

I. Vorklärungen

In Sophokles` Tragödie „Antigone“ widersetzt sich die Tochter des Ödipus dem Verbot des thebanischen Königs Kreon, ihren bei dem vorangegangenen Kampf um die Macht getöteten Bruder Polyneikes zu bestatten. Antigone rechtfertigt ihr Tun wie folgt:
„Es war ja Zeus nicht, der mir dies verkünden ließ, / noch Dike war`s, die bei den unteren Göttern wohnt, / die solch Gesetz den Menschen haben aufgestellt. / Und nicht von solcher Kraft glaubt´ ich, sei Dein Gebot, / das sterbliche, dass es das ungeschriebene und ewige Gesetz der Götter überträf´. / Denn nicht bloß heut und gestern, nein in Ewigkeit / lebt dies, und keiner weiß, woher es kam und wann.“

Sophokles stellt damit dem menschlichen, historisch bedingten und damit veränderlichen Gebot des Kreon ein von Raum und Zeit unabhängiges Gesetz, die AGRAPHOI NOMOI, gegenüber. Er rührt damit an das seit der Antike verfolgte Bemühen in Philosophie und Theologie, aus der „Natur“ des Menschen und der Dinge zeitlos und für jedermann gültige, quasi apriorische Werte abzuleiten, die als Grundlage für eine gerechte Regelung des menschlichen Zusammenlebens, für „richtiges“ Recht gelten konnten.

Solches naturrechtliches Denken bestimmte bis in das 19. Jahrhundert hinein die Versuche, Möglichkeit und Grenzen eines Widerstandsrechts aufzuzeigen, häufig freilich orientiert am Problem des Tyrannenmords und mit unterschiedlichen Ergebnissen, auf die noch zurückzukommen sein wird.. Shakespeares „Julius Caesar“ etwa, Schillers Ballade „Die Bürgschaft“ oder sein Drama „Wilhelm Tell“ zeigen, dass die Annahme von der Existenz eines solchen Rechts im allgemeinen Bewusstsein tief verankert war. Die Ausstellung die den Rahmen für diesen Vortrag bietet, zeigt jedoch, dass „Widerstand“ nicht nur das Handeln im Extremfall (20. Juli 1944 – Tyrannenmord)), sondern durchaus auch Verhaltensweisen erfasst, die weit hinter Formen von Gewalt und Aufruhr zurückbleiben. a) Das führt zunächst zu der Frage, was den so in einem weiteren Sinn verstandenen Widerstandsbegriff ausmacht, wie er von anderen Formen oppositioneller Teilnahme am politischen Prozess abzugrenzen ist.

Widerstand ist abzugrenzen gegenüber der Revolution. Gemeinsam ist diesen Verhaltensweisen zwar das Moment des Rechtsbruchs. Unterschiedlich ist dagegen die Zielsetzung. Revolution zielt dem Wortsinn gemäß auf grundlegende Veränderung der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse. Beim Widerstand geht es um die Bewahrung bzw. Wiederherstellung der bewährten, nun aber von Grund auf bedrohten bzw. beseitigten „guten“ Ordnung.
Widerstand ist abzugrenzen gegen Zivilcourage bzw. zivilen Ungehorsam. Hierbei geht es nicht um die Beeinflussung der politischen Verhältnisse von Grund auf. Es geht um den Mut, sich öffentlich gegen einzelne Ausprägungen staatlicher oder privat(wirtschaftlich)er Entwicklungen zu stellen und sich hierbei gegebenenfalls Risiken gesellschaftlicher Diskriminierung, Anfeindung oder gar Gewalt auszusetzen. Charakteristisch ist also das Moment einer öffentlichen Interaktion mit anderen gesellschaftlichen Kräften. Beide Handlungsformen unterscheiden sich voneinander dadurch, dass ziviler Ungehorsam, anders als Zivilcourage, mit Rechtsbruch verbunden ist. (Beispiele: Rettung aus brennendem Haus // Rettung unter Gejohle von politischen Brandstiftern, Aufbegehren gegen Mobbing; sit-ins, go-ins , Straßenblockaden (§§ 123, 240 StGB; Antigone, Dominik Brunner).
b) Ist Widerstandshandeln per definitionem mit Rechtsbruch verbunden, führt dies in unserem Zusammenhang zwangsläufig zunächst zu der Frage nach dem zu Beginn der NS-Zeit maßgeblichen Rechtsverständnis, auf dessen Grundlage sich dann die spezifisch nationalsozialistische Rechtssetzung und – praxis entwickeln konnte.
Prägend war hierbei vorrangig der sich in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts herausbildende Rechtspositivismus. Charakteristisch für ihn ist die Annahme, dass nur das als Recht gilt, was in einem vorgegebenen Verfahren als Recht „gesetzt“, also in Gesetzesform gebracht worden ist. Zu den vielfältigen Ursachen für diese Entwicklung gehörte u.a. die rasante Ausbreitung der Naturwissenschaften. In ihnen gilt eine Aussage als wahr, wenn sie sich in Übereinstimmung mit den Seins-Tatsachen als der empirisch fassbaren Wirklichkeit, wie sie sich naturwissenschaftlichem Fragen unter Ausschluss jeglicher Meta-Physik erschließt, befindet. Diese theoretische Grundlegung für die Möglichkeit von Erkenntnis hat auch die Geisteswissenschaften nachhaltig beeinflusst. Für die Rechtswissenschaft verband sich dieser Ansatz mit der Einsicht von Kant, dass sich aus den empirisch fassbaren Seins-Tatsachen keine (normativen) Schlüsse auf das moralisch Geforderte oder – soweit es den Bereich des rechtlich Gesollten betrifft – auf das rechtlich „Richtige“ gezogen werden können. Für naturrechtliche Überlegungen herkömmlicher Art blieb so kein Raum. Weder der Rückgriff auf Quellen der Offenbarung noch die Annahme eines fiktiven Gesellschaftsvertrags mit der jeweils grundsätzlich unbegrenzten Vielfalt der daraus ableitbaren Schlussfolgerungen genügten den strengen Anforderungen an einen wissenschaftlichen Beweis dessen, was „richtiges Recht“ sei.
Oder mit den Worten Gustav Radbruchs:
Die verbindliche Kraft des positiven Rechts kann nur auf eben die Tatsache gegründet werden, dass das richtige Recht weder erkennbar noch beweisbar ist. … Weil es unmöglich ist festzustellen, was gerecht ist, muss man festsetzen, was rechtens sein soll. An Stelle eines Aktes der Wahrheit, welcher unmöglich ist, wird ein Akt der Autorität notwendig.“ (Der Relativismus in der Rechtsphilosophie, 1934; vgl. Hobbes: „Auctoritas, non veritas facit legem“)

II. Widerstand und Recht – die NS-Zeit

1. „Der Weg zum Terror war mit Gesetzen gepflastert“ (Günter Hirsch, früherer BGH-Präsident, in seinem Vortrag zum 100. Geburtstag des Widerstandskämpfers H.v.Dohnany 2002). Es ist beklemmend, in welch atemberaubender Geschwindigkeit die neuen Machthaber seit dem 30.1.1933 die Gesetze auf den Weg gebracht haben, mit denen sie die von Anfang an geplante umstürzende Neuordnung sicherten, ohne je die Weimarer Verfassung de iure außer Kraft zu setzen:
- Dazu zählen etwa die Verordnungen „zum Schutz von Volk und Staat v. 28.2.1933 („ReichstagsbrandVO“) und „zur Abwehr heimtückischer Angriffe gegen die Regierung der nationalen Erhebung“ vom 21.3.1933 sowie die VO „über die Bildung von Sondergerichten“ vom 21.3.1933. Weiter das „Gesetz über Verhängung und Vollzug der Todesstrafe“ v. 29.3.1933, das „Gesetz zur Abwehr von politischen Gewalttaten“ v. 4.4.1933, das „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ vom 15.9.1935, die sog. „KriegssonderstrafrechtsVO“ und die Kriegsstrafverfahrensordnung, beide v. 17.8.1938, bis hin zu den unmittelbar nach Kriegsbeginn erlassenen VO`en „über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen“ v. 1.9.1939, „gegen Volksschädlinge“ v. 5.9.1939 oder auch die sog. PolenStRVO v. 4.12.1941.
- Dem gleichen Ziel dienten auch zahlreiche gerichtsorganisatorische Regelungen. Das für die neuen Machthaber unbefriedigende Urteil des Reichsgerichts im sog. Reichstagsbrandprozesses (Freispruch für vier mitangeklagte Angehörige der KPD) war Auslöser für die Gründung des Volksgerichtshofs. Dem späteren Reichsjustizminister Thierack zufolge erhielt er die „sozialhygienische Aufgabe“, die von den Angeklagten ausgehende „Seuchengefahr“ zu bekämpfen, um so „den gesunden Körper unseres Volkes unter allen Umständen unversehrt und kräftig zu erhalten.“
Mit der bereits erwähnten VO vom 21.3.1933 wurde die Einrichtung von Sondergerichten eingeleitet, zunächst für jeden der 26 OLG-Bezirke eines, später dann infolge der Ausdehnung ihrer sachlichen Zuständigkeit bis zu 74 (1942). Seit 1938 waren sie unabhängig von ihrer originären Zuständigkeit (v.a. Urteile nach der sog. „VolksschädlingsVO“) in allen Fällen tätig, in denen die Staatsanwaltschaft mit „Rücksicht auf … die Verwerflichkeit der Tat oder die in der Öffentlichkeit hervorgerufene Erregung“ eine sofortige Aburteilung für notwendig hielt. Umfang und Inhalt der Beweisaufnahme lagen im Ermessen des Gerichts. Der Verurteilte hatte keine Rechtsmittelmöglichkeit. Als Sondergerichtsbarkeit für alle Militärangehörigen wurde daneben ab 1933 die von der Weimarer Verfassung abgeschaffte Militärgerichtsbarkeit wieder eingeführt mit dem Reichskriegsgericht als oberster Instanz, zuständig v.a.. für alle Fälle von Hoch-, Landes- und Kriegsverrat. Später wurden Teile seiner Zuständigkeit auf den Volksgerichtshof übertragen.
Die Zuständigkeit der aufgrund der KStVO zunächst nur für Militärangehörige vorgesehenen Standgerichte wurde durch Verordnung vom 15.2.1945 auch auf Zivilisten ausgeweitet.
Nach dem Erlass des Ermächtigungsgesetzes (24.3.1933) wurden bis zum Beginn des 2. Weltkriegs im Reichstag nur neun (!) Gesetze beraten und beschlossen, während im gleichen Zeitraum ca. 4500 sog. Regierungsgesetze nach den Regeln des Ermächtigungsgesetzes erlassen wurden.

2. Schon bald nach dem Krieg begann das Nachdenken darüber, wie es möglich sein konnte, dass so viele Juristen sich so bedenkenlos dem neuen Rechtsdenken anpassen konnten. War es wirklich allein die ihnen von einem streng verstandenen Positivismus zugeschriebene Rolle, die sie „ … wehrlos gemacht (hat) gegen Gesetze willkürlichen und verbrecherischen Inhalts.“ ? (Radbruch) „Die Mehrheit der Richter beugte nicht das Recht, aber viele beugten sich einem formellen Recht, auch wenn es materiell Unrecht war. Die Gefährlichkeit des Unrechtsstaates liegt ja nicht so sehr darin, dass er Richter frontal veranlasst, das Recht zu brechen, sondern darin, dass er Unrecht in Gesetzesform gießt und darauf setzt, dass Richter nicht mehr nach dem Recht fragen, wenn sie ein Gesetz zur Hand haben. Mit dem Ermächtigungsgesetz und mit Notverordnungen wurde die Weimarer Republik legalistisch zerstört; der Weg zum Terror war mit Gesetzen gepflastert.“
Günter Hirsch, der bereits zitierte frühere BGH-Präsident lässt die Ursachen für den von ihm beschriebenen Befund offen. Tatsächlich ist die oben wiedergegebene These Radbruchs in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zunehmend in Frage gestellt worden. Wohl zu Recht:
- Die Überwindung des chaotischen Antagonismus der unterschiedlichen politischen Richtungen in der parlamentarischen Praxis der Weimarer Republik, dem gegenüber man unter Betonung der eigenen Unparteilichkeit auf kritische Distanz gegangen war, kam dem Ordnungsstreben der ohnehin eher konservativ eingestellten Richter- und Beamtenschaft entgegen. Und bei aller persönlicher Verachtung für den Juristenstand – Hitler wusste, dass er deren Orientierung an der Wahrung der formellen Ordnung zu berücksichtigen hatte. Beispiel: Nachträgliche Legalisierung seines gegen alles damals geltende Recht verstoßenden Verhaltens beim sog. Röhmputsch 1934
Früh schon betonte der als „Kronjurist des 3. Reichs“ bekannt gewordene C. Schmitt die Legalität der „deutschen Revolution“ und legitimierte das Vorgehen Hitlers gegen Röhm u.a.:
„In Wahrheit war die Tat des Führers echte Gerichtsbarkeit. Sie untersteht nicht der Justiz, sondern war selbst höchste Justiz.“
Bedeutende Hochschullehrer wie Ernst Rudolf Huber stimmten dem zu: Das im Volk lebende Recht „…erlangt im Führerwillen seine verbindliche Gestalt“, „der Führer bildet in sich den völkischen Gemeinschaftswillen.“ K.Larenz, auch nach dem Krieg ein angesehener Hochschullehrer, PP legitimierte eine Abkehr vom „Buchstabenglauben“ hin zu einer flexiblen Rechtsanwendung:
„Es hieße den Willen des Führers verkennen, wollte man ihn an einem Ausdruck festhalten, der zu einer dem Sinn und Geist der völkischen Gesamtordnung nicht entsprechenden Bedeutung führt.“ – Von Hermann Göring stammt aus dem Jahre 1935 die Forderung, die Rechtssicherheit nicht auf das Gesetz selbst, sondern auf die Einheitlichkeit seiner Anwendung zu stützen.
Der Staatssekretär im Reichsjustizministerium und spätere Präsident des Volksgerichtshofs Roland Freisler knüpfte an die sog. Freirechtsschule an, wenn er ausführte:
„Die Weimarer Verfassung (wurde) durch die neue Verfassungswirklichkeit ersetzt, die ausschließliche Gesetzesgebundenheit des Richters zu einem freien Rechtswahrertum entwickelt.“ Und: „Richter und Gesetzfasser (sic!) sind gleichwertig und gleichverantwortlich als Träger und Gestalter des Volksgemeinschafts- und Führerwillens.“
Und in den seit 1942 vom Reichsjustizministerium herausgegebenen „Richterbriefen“ heißt es einmal lapidar, der deutsche Richter habe Werte des Volkes zu verteidigen und sich nicht „sklavisch der Krücken des Gesetzes“ zu bedienen.
- Die Tendenz zur Lösung der Rechtsanwendung vom Gesetz wurde verstärkt durch die Gesetzgebungspraxis. Sie steht für eine Handhabung, die zur Durchsetzung der „in der konkreten Lebensordnung selbst liegenden sittlichen Maßstäbe“ bewusst auf Begriffsschärfe verzichtet und so zunehmend die Spielräume für die ideologiekonforme Einzelfallentscheidung öffnet. Dazu gehört v.a. auch die Aufweichung des strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes durch die Neufassung von § 2 StGB vom 28.6.1935:
„Bestraft wird, wer eine Tat begeht, die das Gesetz für strafbar erklärt oder die nach dem Grundgedanken eines Strafgesetzes und nach gesundem Volksempfinden Bestrafung verdient. Findet auf eine Tat kein bestimmtes Strafgesetz unmittelbar Anwendung, so wird die Tat nach dem Gesetz bestraft, dessen Grundgedanke auf sie am besten zutrifft.“
Vollends ins Ungewisse gerückt wurde die Basis für eine berechenbare Rechtsanwendung durch die Möglichkeit des sog. Führerbefehls, dessen Verbindlichkeit durch Reichstagsbeschluss vom 26.4.1942 legitimiert wurde. – Schon früh übte die Rechtsprechung quasi vorauseilendem Gehorsam – zB:
Ein jüdischer Angeklagter wurde wegen wiederholter im Ausland begangener Verstöße gegen das sog. Blutschutzgesetz mit einer dort lebenden Deutschen verurteilt, obwohl damals deutsches Strafrecht nur für Inlandstaten galt, also nur dann, wenn der Tat- oder der Erfolgsort in Deutschland lagen. Schutzgegenstand des Gesetzes sei, so die Begründung des Reichsgerichts, „…das im deutschen Volke kreisende, zu ständiger Vermischung bestimmte deutsche Blut als lebendiger Organismus.“ Daraus folge zwingend, „ …dass das deutsche Staatsvolk regelmäßig unmittelbar verletzt … wird, wenn an einem seiner Glieder, nämlich eines Staatsangehörigen deutschen Blutes, Rassenschande begangen wird …“ Erst ein Jahr später wurde der Geltungsbereich des deutschen Strafrechts im Verordnungswege auch auf von Deutschen im Ausland begangene Taten erstreckt.
Belege dieses Inhalts ließen sich beliebig vermehren. Sie zeigen, dass zu viele andere Einflüsse in dieser Zeit wirksam waren, als dass sich das Urteil Radbruchs über die Rolle des Positivismus für die Unrechtspraxis von Justiz und Verwaltung im 3. Reich unbesehen übernehmen ließe. Aus dem rechtsstaatlichen „nulla poena sine lege“ war ein „nullum crimen sine poena“ geworden – unvereinbar mit dem überkommenen Rechtspositivismus.

3. Aus der Vielfalt praktizierten Widerstands – von Kriegsdienstverweigerung über Verrat von Kriegsplänen, Nachdenken über eine Neuordnung, Suche nach Verbündeten im Ausland, Feindsender hören, Auslegen von Flugblättern, Verbergen von Kriegsdienstverweigerern, Unterstützung von Juden und Kriegsgefangenen und Sabotage bis hin zum gewaltsamen Umsturzversuch – können nur einige wenige typische Beispiele herausgestellt werden. Sie sollen einen Eindruck von Diktion und Argumentationsweise vor allem des Volksgerichtshofs und des Reichskriegsgerichts verschaffen.
a) Dabei zeigen sich v.a. folgende Charakteristika:
- Bedenkenlose Dehnung von ohnehin bewusst schwammig formulierten Gesetzen
- Ergebnisorientierte Verstöße gegen die Logik
- Schlicht gesetzwidrige Urteile
- Verfahrensverstöße
- Häufig entwürdigende Charakterisierung der Angeklagten und hassgeleitete Diktion mit erkennbar dahinter stehendem Vernichtungswillen und entsprechender Strafzumessung.
- Häufig schwülstige Bezugnahmen auf vermeintlich germanische Leitbilder und Werte.
b) aa) Zahlreiche Urteile haben das Verteilen regimekritischer Flugblätter zum Gegenstand. Die Täter kamen aus den verschiedensten gesellschaftlichen Schichten:
(1) „Bitte weiter auslegen! Nieder mit der Hitler Regierung! Nieder mit dem Zwangs Elends Dicktat in unser Deutschland! Eine Hitler Regierung dürfen wir nicht Entlasten!!“
„Freie Presse! Fort mit dem Hitler Verreckungs System. Der gemeine Soldat Hitler und seine Bande stürzen uns in den Abgrund! Diese Hitler Göring Himmler Goebbels ist in unser Deutschland nur Todes Raum zu Gewähren!“ (Schreibweise wie im Original)
Texte auf in Mietshäusern in Berlin abgelegten Postkarten, verfasst von einem Arbeiterehepaar; das gegen sie ergangene Todesurteil war mir nicht zugänglich. Hans Fallada hat den Eheleuten in „Jeder stirbt für sich allein“ ein literarisches Denkmal gesetzt.
(2) Am bekanntesten in diesem Zusammenhang ist die Aktion der Geschwister Scholl im Februar 1943:
„Der Tag der Abrechnung ist gekommen, der Abrechnung der deutschen Jugend mit der verabscheuungswürdigsten Tyrannis, die unser Volk je erduldet hat. Im Namen der deutschen Jugend fordern wir vom Staat Adolf Hitlers die persönliche Freiheit, das kostbarste Gut des Deutschen zurück, um das er uns in der erbärmlichsten Weise betrogen hat …. Der deutsche Name bleibt für immer geschändet, wenn nicht die deutsche Jugend endlich aufsteht, rächt und sühnt zugleich, ihre Peiniger zerschmettert und ein neues geistiges Europa aufrichtet.“
Unmittelbar nach dieser Aktion verhaftet, war ihnen bereits 3 Tage später die Anklageschrift übergeben worden. Schon am darauf folgenden Tag wurden sie von dem nach München zusammengerufenen Volksgerichtshof unter dem Vorsitz Freislers zum Tode verurteilt und noch am selben Tag hingerichtet. In der Urteilsbegründung heißt es u.a.
„Wer so, wie die Angeklagten, getan haben, hochverräterisch die innere Front und damit im Kriege unsere Wehrkraft zersetzt und dadurch den Feind des Reichs begünstigt (§ 5 KriegssonderstrafVO und § 91 b StrGB,), erhebt den Dolch, um ihn in den Rücken der Front zu stoßen ! … Und das taten deutsche Studenten, deren Ehre allzeit das Opfer für Volk und Vaterland war. … Wenn solches Verhalten anders als mit dem Tode bestraft würde, wäre der Anfang einer Entwicklungskette gebildet, deren Ende einst 1919 war. Deshalb gab es für den Volksgerichtshof zum Schutze des kämpfenden Volkes und Reiches nur eine gerechte Strafe: die Todesstrafe. Der Volksgerichtshof weiß sich darin mit unseren Soldaten einig. … Durch ihren Verrat an unserem Volk haben die Angeklagten ihre Bürgerehre für immer verwirkt.“
(Nichteinhaltung von Fristen, fehlende Vorbereitungsmöglichkeit für die Verteidigung; nichtssagende Leerformeln an Stelle nachvollziehbarer Subsumption; schwülstige Betonung der Rolle als Studenten; Todesstrafe mehr aus Hass als aus nüchterner Abwägung; verquaste historische Bezugnahmen)
(3) Ein 19-jähriger, von einem Sachverständigen als nur vermindert zurechnungsfähig beurteilter Hilfsarbeiter und sein Arbeitgeber hatten unter dem Einfluss ausländischer Rundfunksendungen bei Dunkelheit Handzettel mit Beschimpfungen des Nationalsozialismus und revolutionären Forderungen an verschiedenen Orten niedergelegt. In dem auf Feindbegünstigung gestützten Urteil vom 4.5.1942 wurde u.a ausgeführt,
beide hätten sich mit den Feinden des Volkes gemein gemacht und auf die Vernichtung des Vaterlandes hingearbeitet. Bei einem solch kaum mehr zu überbietenden moralischen Tiefstand und einer solchen Entartung könne die Volksgemeinschaft derartige Schädlinge nicht mehr ertragen. Für sie komme nur die Todesstrafe als Reinigungsmittel der Gemeinschaft und als Instrument der Ausmerzung Entarteter in Betracht. Strafminderung wegen verminderter Zurechnungsfähigkeit scheide aus. Wessen Verantwortungsfähigkeit durch seine organische Konstitution geschwächt sei, müsse doppelte Kraft einsetzen, um doch anständig zu bleiben. Auch sei der weniger Verantwortungsfähige oft der Volksgemeinschaft umso gefährlicher, deshalb müsse es in solchen Fällen bei der normalen Bestrafung bleiben.
(Konsequenz aus gemind. Schuldfähigkeit = gg Logik  Täterstrafrecht, u.a. von Freisler vertreten; menschenverachtende Diktion) bb) Die Überhöhung des Germanentums prägt zwei andere Urteile:
(1) Ein Regierungsrat hatte nach einem Luftangriff auf Hamburg geäußert, der Führer müsse zurücktreten, es müsse um jeden Preis Frieden geschlossen werden, ehe alle bei lebendigem Leib verbrennen würden. In dem Todesurteil vom 23. 8. 1943, das zwei Tage später vollstreckt wurde, heißt es u.a.
„Ein Regierungsrat trägt besondere Verantwortung. … Ein Deutscher, noch dazu ein höherer Beamter, der dem Führer Treue geschworen hat, denkt so nicht. Sein Eid auf den Führer begründet ein germanisches Treueverhältnis, das den ganzen Mann ergreift und nicht nur … seine dienstliche Tätigkeit. Ein Deutscher, noch dazu ein Mann, der gebildet sein will, der so redet wie K., schwächt unseren nationalsozialistischen Willen zu mannhafter Wehr in unserem jetzigen Schicksalskampf, der bis zum letzten angespannt werden muss, weil wir siegen wollen und müssen (§ 5 KSSVO). Er arbeitet also an der Zersetzung unserer inneren Front. Er hilft damit unserem Kriegsfeind (§ 91 b StrGB). … Unserem Siege ist es der Volksgerichtshof schuldig, einen solchen treulosen Verräter zum Tode zu verurteilen….“
(2) Ähnliche Begründungselemente finden sich in einem der zahlreichen wegen Kriegsdienstverweigerung gegen Zeugen Jehovas ergangenen Urteil:
Der Angeklagte, ein gesunder junger Mensch, hat sich in einer Zeit,, wo jeder anständige wehrpflichtige Deutsche freudig sein Letztes für sein Vaterland hingibt, … in der Heimat verborgen gehalten … Er hat sich mit großer Hartnäckigkeit seiner Treupflicht gegenüber seinem Vaterland im Kriege entzogen. Damit hat er sich selbst aus der Volksgemeinschaft ausgeschlossen. Gegen Menschen seines Schlages muss die ganze Schärfe des Gesetzes angewandt werden. …“
Auch das hinter dem Gedanken, durch die Verletzung der Treuepflicht habe sich der Angeklagte selbst aus der Volksgemeinschaft ausgeschlossen, aufklingende Pathos verweist auf das immer wieder beschworene Germanentum. Nach germanischem Recht führte der Ausschluss aus der Sippe zur Rechtlosigkeit, zum Verlust der Personhaftigkeit, zur Vogelfreiheit; es entspricht dieser inneren Logik, dass „gegen Menschen dieses Schlages die ganze Schärfe des Gesetzes angewandt werden“ müsse.
cc) Über 40 Versuche eines Attentats auf Hitler sind gezählt worden. Ob der folgende Fall dazu gerechnet wurde, weiß ich nicht:
In einer Situation sozialer Entwurzelung und von einem Sachverständigen für vermindert zurechnungsfähig befunden, hatte der Angeklagte sich im Dezember 1942 auf den Weg nach Prag gemacht mit dem Ziel, dort bei katholischen Priestern eine Bombe zu erwerben und mit dieser gegen Zahlung von 400.000 RM Hitler zu töten. An der Grenze schickte man ihn jedoch nach Berlin zurück, wo er sich nach einigen Tagen ziellosen Herumtreibens schließlich der Polizei stellte und sein gescheitertes Vorhaben offen legte. Dazu aus der Urteilsbegründung:
„Ein minderwertiger Mensch ist er. Im Vorverfahren hat ihn der … Sachverständige sogar (!) für minder schuldfähig erklärt. … Aber Menschen, die verbrecherischen Stimmungen keine normalen Hemmungen entgegensetzen, sind in der Regel gefährlicher als normale. … die Rechtspflege (muss) ihr Handeln und ihre gemeinschaftsschädlichen Gedanken, sobald sie auch nur irgendwie mit ihrer Ausführung beginnen, nicht minder ahnden, sondern sie muss durch strenge Strafe eine möglichst hohe Barriere im Inneren solcher Menschen aufrichten … Wenn S., auch nur mit dem Gedanken an ein Attentat auf unseren Führer spielend, sich in den Zug nach Prag gesetzt hat, um sich dort eine Bombe für einen solchen Mordanschlag zu beschaffen, so hat er damit in unsere Kriegsführung ein Unsicherheitsmoment gebracht, das unerträglich ist (§ 91 b StGB), denn er ging, wenn auch nur einen Schritt, auf dem Wege zu einem Anschlag auf das Leben unseres Führers (§ 5 der VO zum Schutze von Volk und Staat 1933). Selbst wenn er vielleicht die folgenden Schritte nicht alle bis zum Schluss gegangen wäre – er ist durch diese Tat für immer ehrlos geworden … (und) … musste deshalb um der Sicherheit des Reiches willen zum Tode verurteilt werden.“ (Schmähbegriffe; Unlogik iZshg mit vermind. Zurechnungsfähigkeit; gesetzwidrige Vorverlagerung von „unternimmt“  § 87 StGB-Legaldef. : Umfasst Versuch und Vollendung: Auch unter Einbeziehung subj. Elemente allenfalls frühes Vorbereitungsstadium) dd) Auch wenn in den Urteilen die Frage einer etwaigen Rechtfertigung durchweg unerörtert bleibt – sie stellte sich für die Verschwörer des 20. Juli 1944 und ihr Umfeld ebenso wie bei jeder anderen Form praktizierten Widerstands:
(a) Eine Rechtfertigung aus dem positiven Recht schied von vornherein aus. Überlegungen im Sinne einer Staatsnotwehr oder eines übergesetzlichen Notstands verboten sich unter den damaligen Bedingungen von selbst. Auf seine Weise hat das Freisler so auf den Punkt gebracht:
„Denn wenn das Volk Ursprung, Kern und Ziel alles Handelns des Volkes selbst und seiner Organe, seiner Zellen ist und die Einheit von Volk, Führung Staat und Bewegung hergestellt ist, dann kann eine Notwehrhandlung gegen diesen Staat aus dem Gesichtspunkt der Volksnotwehr …. nicht mehr in Frage kommen.“
(b) Die Suche nach Rechtfertigungsgründen für Widerstandshandeln außerhalb des positiven Rechts stellt vor die bereits bekannte Frage nach Existenz und ggfls Inhalt eines philosophisch und/oder theologisch begründeten Naturrechts. Dass die Berufung auf eine so begründete Rechtfertigung im 3. Reich ohne jegliche Erfolgsaussicht gewesen wäre, versteht sich nach dem bisher Gesagten von selbst. Tatsächlich konnte es allein darum gehen, das eigene Handeln vor dem eigenen Gewissen, dem forum internum, zu rechtfertigen. Keiner von den an Umsturzüberlegungen Beteiligten oder in anderer Weise Widerstand Leistenden hat sich die Entscheidung über sein eigenes Verhalten leicht gemacht.
(aa) Solange auf der Grundlage der durch den Rechtspositivismus geschaffenen vermeintlich klaren Verhältnisse die „gute Ordnung“ gewahrt schien, blieb kein Raum für ein Nachdenken über ein Widerstandsrecht.
„Loyalität um jeden Preis“ (Generaloberst v. Seeckt), „Revolution und Meuterei sind Worte, die es im Lexikon eines Soldaten nicht gibt“ (Generaloberst Ludwig Beck), „Ich werde mich einer neuen, legalen Regierung stets loyal zur Verfügung stellen“ (Feldmarschall von Manstein) – solche Aussagen standen für die geistige Grundhaltung, die bei den meisten Offizieren und in der Beamtenschaft zu einem Ethos unbedingter Staats- und Regierungstreue geführt hatte, dem auch der Untergang der Monarchie und die jahrelangen revolutionären Wirren der Nachkriegszeit keinen Abbruch getan hatten.
(bb) Für den aus dem Militär oder aus der Beamtenschaft kommenden Widerstand ergab sich ein zusätzliches Problem aus ihrem auf Hitler persönlich geleisteten Eid. V.a. die Miltärangehörigen sahen sich durch den sog. Führereid von 1934 mit seinem religiösen Bezug vor ein besonderes Problem gestellt:
„Ich schwöre bei Gott diesen heiligen Eid, dass ich dem Führer des deutschen Volkes, Adolf Hitler, unbedingten Gehorsam leisten und als tapferer Soldat bereit sein will, jederzeit für diesen Eid mein Leben einzusetzen.“
Die Verbindlichkeit des Eides war somit „unbedingt“ verbürgt durch die selbe Instanz („bei Gott“), die nach Apg 5, 29 für sich mehr Gehorsam als gegenüber den Menschen forderte. Ein echtes Dilemma für alle, denen der Bezug auf Gott etwas bedeutete.
(cc) Auch der Blick in die Geistesgeschichte bot keine zuverlässigen eindeutigen Handlungsanweisungen für eine gesicherte Gewissheit, im Einklang mit einem „höheren Recht“ zu stehen. Eher im Gegenteil: Bei aller Unterschiedlichkeit der Standpunkte zum Widerstandsrecht in den Jahrhunderten von der Stoa über die theologisch begründeten Positionen v.a. von Th.v.Aquin und Luther bis zu den letzten Vertretern des Vernunftrechts und schließlich zu Kant – im Ergebnis boten auch diese Autoritäten keine Rechtfertigungsgründe. Theologische und philosophische Skepsis hinderten zwar nicht, dass in den ersten maßgebenden Verfassungsurkunden (Amerika 1776, Frankreich 1789) ein Widerstandsrecht statuiert wurde. Den Verschwörern des 20. Juli 1944 ebenso wie den zahllosen unbekannten Empörern war mit solchen Überlegungen aber nicht geholfen. Sie blieben auf ihr eigenes Gewissen verwiesen.
Die Frage nach einer Rechtfertigung von Widerstandshandeln unter der Herrschaft des Nationalsozialismus stellte sich ab dem Beginn des Wideraufbaus mit zunehmendem Nachdruck:

III. Widerstand und Recht – vom Umgang mit der NS-Vergangenheit

Gustav Radbruch hat sich nach dem Ende des NS-Staates als einer der ersten selbstkritisch mit dem Rechtspositivismus und seinen Folgen für die damalige Rechtspraxis auseinandergesetzt. Seine sog. Radbruchsche Formel ist bis heute ein unverrückbarer Bestandteil des Rechtsdenkens. Danach gilt das positive Recht solange, bis ein etwaiger Widerspruch zur Gerechtigkeit „… ein so unerträgliches Maß erreicht, dass das Gesetz als „unrichtiges Recht“ der Gerechtigkeit zu weichen hat.“ Daher gilt auch: „Wo Gerechtigkeit nicht einmal erstrebt wird, wo die Gleichheit, die den Kern der Gerechtigkeit ausmacht, bei der Setzung positiven Rechts bewusst verleugnet wurde, da ist das Gesetz nicht etwa nur „unrichtiges Recht“, vielmehr entbehrt es überhaupt der Rechtsnatur. … An diesem Maßstab gemessen sind ganze Partien nationalsozialistischen Rechts niemals zur Würde geltenden Rechts gelangt.“
Als wesentliches Kriterium für „richtiges“ Recht findet sich bei Radbruch – neben dem Gleichheitsgrundsatz – die Orientierung an den Menschenrechten. Implizit sind damit die Ergebnisse des natur- bzw. vernunftrechtlichen Denkens sowie der Aufklärung in Bezug genommen. Sie spiegeln sich u.a. in der UN-Deklaration der Menschenrechte vom 8. 12. 1948, in dem Grundrechtskatalog des Grundgesetzes vom 23.5.1949 oder auch in der EMRK von 1953. Gesetzgebung und Rechtsprechung der Bundesrepublik hatten sich nun auf jeweils eigene Weise mit dieser neuen Rechtslage auseinanderzusetzen. Dazu drei Problemfelder, jeweils mit Bezug zum Widerstand:

1. Bereits 1949 waren in den westlichen Besatzungszonen Gesetze über „Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts“ in Kraft gesetzt worden. Zur Vereinheitlichung der Rechtslage beschloss der Bundestag nach erheblichen politischen Kontroversen und in einem Klima zunehmender Ablehnung in breiten Bevölkerungskreisen 1956 das BEG. Dessen Zielsetzung ergibt sich aus seiner Präambel:
„In Anerkennung der Tatsache, dass Personen, die aus Gründen politischer Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus oder aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft verfolgt worden sind, Unrecht geschehen ist, dass der aus Überzeugung oder um des Glaubens oder des Gewissens willen gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft geleistete Widerstand ein Verdienst um das Wohl des Deutschen Volkes und Staates war … , hat der deutsche Bundestag … beschlossen: …“
Gegenüber dieser Zielsetzung war die Rechtsprechung des BGH jedenfalls in den ersten Jahren von einer eher restriktiven Handhabung der Anspruchsgrundlagen geprägt. Die personelle Besetzung gerade auch der höchsten Richterstellen in diesen Jahren wird dabei eine Rolle gespielt haben. Tatsächlich ist es kein Geheimnis, dass schlichte Personalnot schon nach einigen Monaten die Rückkehr der Mehrzahl der früheren NS-Richter in den Justizdienst erforderlich machte – mit Billigung der Besatzungsmächte. – Zwei Beispiele: – Das OLG Bremen hatte im Jahr 1961 einem Kläger Entschädigung zugesprochen, der aus politischen Gründen seiner Einberufung zur Wehrmacht nicht gefolgt und deshalb zu Haft und Zuweisung zu einem Strafbataillon verurteilt worden war. Seine Weigerung, dort Minen zu verlegen, hatte zu erneuter Verurteilung geführt.
Der BGH hat in dem Verhalten des Klägers keine Widerstandshandlung gesehen und die Hürden hierfür hoch gesetzt. Eine solche müsse „…nach ihrer Art und ihrem Gewicht wenigstens eine gewisse Aussicht“ bieten, „…in Bezug auf die Übel der bestehenden Unrechtsherrschaft eine wirkliche Wende zum Besseren herbeizuführen“. Sie müsse „… in jedem Fall nach ihren Beweggründen, Zielsetzungen und Erfolgsaussichten als ein ernsthafter und sinnvoller Versuch gewertet werden können, der einen lebens- und entwicklungsfähigen Keim des Erfolgs in sich trägt… und so jedenfalls zur Vorbereitung der schließlichen Überwindung des allgemeinen Unrechtszustands einen entscheidenden Beitrag leistet“. Als bloße „Einzelaktion“ könne das Verhalten nicht als „…rechtmäßige, mit der geltenden, wenn auch übergesetzlichen Rechtsordnung in Einklang stehende Widerstandshandlung“ angesehen werden.
- Im Kern mit der gleichen Begründung wurde der Fall eines Soldaten entschieden, der Anfang Mai 1945 den „deutschen Gruß“ eines Untergebenen mit dem von den Nazis abgeschafften früher üblichen militärischen Gruß erwidert hatte und hierauf von seinem Vorgesetzten zur Rede gestellt worden war. Auf seine Antwort, Hitler sei doch tot, es sei alles vorbei, der ganze Dreck gehe ihn nichts mehr an, war er von dem Offizier mit den Worten „Sie Schwein“ niedergeschossen worden. – Der Klage der Witwe war zunächst stattgegeben worden. Auch hier hat der BGH, der oben dargestellten Linie folgend, das Urteil aufgehoben.
Man möchte mit dem früheren rechtspolitischen Sprecher der SPD, Adolf Arndt, solche Urteile zu der „…Gruppe unseliger Entscheidungen (rechnen), die am Recht verzweifeln lassen.“

2. a) Bereits vor 1949 waren auf Drängen des Alliierten Kontrollrats in den einzelnen Besatzungszonen Regelungen zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile erlassen worden. Zahlen:
Nach Gründung der Bundesrepublik begonnene Bemühungen um eine bundeseinheitliche Regelung wurden vom damaligen Bundesjustizminister Th. Dehler aus Gründen der Rechtssicherheit abgelehnt.
Tatsächlich berühren die hier erörterten Fragen zentrale Aspekte des Rechts und machen die Sprengkraft deutlich, die in der Radbruchschen Formel steckt.
b) Die somit bei den Bundesländern verbliebene Zuständigkeit und die damit verbundene Uneinheitlichkeit der Praxis. Vor allem die in diesen Gesetzen vorgesehenen Einzelfallprüfung führte immer wieder zu divergierenden Ergebnissen. Aber auch unabhängig davon war die Rechtslage unübersichtlich: Bereits im Jahre 1946 war das gegen die Widerstandskämpfer um Canaris im KZ Flossenbürg ergangene Urteil per legem aufgehoben worden (Bayerisches Gesetz zur Wiedergutmachung strafrechtlichen NS-Unrechts v. 28.5.1946). Ein gesondertes Aufhebungsverfahren wurde nicht durchgeführt. Diese – nur für in Bayern ergangene Urteil geltende – Rechtslage war über Jahrzehnte unbeachtet geblieben und erst durch einen Beschluss des LG Berlin, dem ein Antrag auf Rehabilitierung von Dietrich Bonhoeffer zugrunde lag, wieder ins Bewusstsein gerückt worden. Eine Rehabilitierung des gesondert im KZ Sachsenhausen abgeurteilten, ebenfalls zu dieser Gruppe gehörenden Hans v. Dohnany durch das zuständige Land Berlin erfolgte dagegen erst 1997.
Exkurs zum Scheitern der Aufarbeitung des NS-Unrechts durch die Justiz der Bundesrepublik.
c) Mit dem „Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege“ vom 28. Mai 1998 (NSAufhG) wurde eine bundeseinheitliche Basis für die rechtliche Rehabilitierung der durch dieses Gesetz Betroffenen geschaffen. Die hier interessierenden Bestimmungen lauten:
§ 1 : „ Durch dieses Gesetz werden verurteilende strafgerichtliche Entscheidungen, die unter Verstoß gegen elementare Gedanken der Gerechtigkeit nach dem 30. Januar 1933 zur Durchsetzung oder Aufrechterhaltung des nationalsozialistischen Unrechtsregimes aus politischen, militärischen, rassischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen ergangen sind, aufgehoben. Die den Entscheidungen zugrunde liegenden Verfahren werden eingestellt.“
§ 2 : „Entscheidungen im Sinne des § 1 sind insbesondere 1. Entscheidungen des Volksgerichtshofs, 2. Entscheidungen der aufgrund der Verordnung über die Einrichtung von Standgerichten vom 15. Februar 1945 (…) gebildeten Standgerichte, 3. Entscheidungen, die auf den in der Anlage genannten gesetzlichen Vorschriften beruhen.“

Zu den in der erwähnten Anlage aufgeführten Vorschriften gehören sämtliche der in Teil II zitierten Regelungen.
Mit Ergänzungsgesetz vom 17. Mai 2002 wurden die bisher von dieser Maßnahme ausgeklammerten Fallgruppen ( v.a. Homosexualität, Kriegsdienstverweigerung, Fahnenflucht, Wehrkraftzersetzung) mit einbezogen. Die Einbeziehung erfolgte durch entsprechende Ergänzung der in § 2 Nr. 3 des NSAufhG in Bezug genommenen Anlage.
Auf die gleiche Weise wurden schließlich durch das 2. NSAufhGÄndG vom 17. Juni 2009 die wegen Kriegsverrats Verurteilten pauschal rehabilitiert.

3. a) In seinem Urteil zum Verbot der KPD im Jahre 1956 hatte sich das Bundesverfassungsgericht u.a. auch mit den Voraussetzungen für ein Widerstandsrecht auseinanderzusetzen. Er hat dabei offen gelassen, ob sich ein solches Recht aus dem Gesamtzusammenhang der tragenden Gedanken des Grundgesetzes entnommen werden könne (dann eher rechtspositivistisch orientiert), oder aus überpositiven Grundsätzen zu entnehmen sei. Seine Entscheidungsergebnisse schlugen sich in den Beratungen über die Notstandsverfassung 1968 und in dem in Art. 20 Abs. 4 GG eingefügten neuen Grundrecht auf Widerstand nieder:
„Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“
b) Die Formulierung wirft in mehrfacher Hinsicht Fragen hinsichtlich ihrer Praktikabilität auf. Darüber müsste im einzelnen diskutiert werden. Aber trotz aller Bedenken: Die Kodifizierung des Widerstandsrechts ist ein Signal an alle, den für den Bestand der Verfassung unverzichtbaren Grundkonsens aller Bürger lebendig zu erhalten und so die in Art. 20 Abs. 4 GG vorausgesetzte Situation gar nicht erst eintreten zu lassen.
Und eine abschließende Überlegung gehört auch hierher: Antigone hätte von einem solchen Rechtszustand nur träumen können. Zwar hätte ihr ein geschriebenes Recht mit dem Inhalt des Art. 20 Abs. 4 GG nicht unmittelbar geholfen. Wäre Kreon aber König in einem nach heutiger Vorstellung rechtsstaatlich verfassten Theben gewesen mit Bindung auch der vollziehenden Gewalt an das Gesetz und mit der von einem kodifizierten Widerstandsrecht ausgehenden Signalwirkung, wäre kein Raum für seine selbstherrliche, gegen essentielle Werte des menschlichen Zusammenlebens gerichtete Haltung geblieben.